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Schuldhafte Geisteszustände: Schuldhafte Geisteszustände bezeichnen in der Psychologie und im Recht psychische Zustände, die auf kriminelle Absichten oder Verantwortung hindeuten. Beispiele hierfür sind wissentliches, rücksichtsloses oder absichtliches Ausführen illegaler Handlungen.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
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Sozialpsychologie über Schuldhafte Gesinnung - Lexikon der Argumente

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Schuldhafte Gesinnung/Recht/Sozialpsychologie/Nadler/Mueller: Sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht werden verschiedene schuldhafte Gesinnungen unterschieden, z.B. Fahrlässigkeit, Rücksichtslosigkeit, Wissen und Vorsatz/Intentionalität (siehe Model Penal Code S2.02; Restatement (Second) of Torts § 8A). Diese Kodifizierungen gehen davon aus, dass Geschworene und Richter schuldhafte Gesinnungen so wahrnehmen, dass sie sie zuverlässig in diese Kategorien einordnen können, was eine hohe Anforderung zu sein scheint, wenn man bedenkt, dass nicht einmal Gerichte bei der Unterscheidung zwischen schuldhaften Geisteszuständen immer konsistent sind (Simons, 1992)(1).
Sozialpsychologie: Im Alltag machen Menschen ständig Rückschlüsse auf die mentalen Zustände anderer Menschen, und inwieweit diese Einschätzungen mit den Kategorien des MPC (Model Penal Code) übereinstimmen, ist eine wichtige empirische Frage. Im Kontext der Justiz (und vielleicht in der gesamten sozialen Wahrnehmung; siehe Malle und Holbrook, 2012)(2) ist Intentionalität der grundlegende mentale Zustand. Die buchstäblich lebenswichtige Rolle der Beurteilung von Absichten ("ist diese Person Freund oder Feind?") führt zum Primat dieser Urteile (Fiske, Cuddy und Glick, 2007)(3).
Wahrnehmung: Untersuchungen zur Wahrnehmung von rechtlich schuldhaften Geisteszuständen durch Laien haben gemischte Ergebnisse erbracht. Severance, Goodman und Loftus (1992)(4) fanden heraus, dass die Teilnehmer recht schlecht in der Lage waren, mentale Zustände zu unterscheiden, und nur vorsätzliche und fahrlässige Schädigungen zuverlässig trennen konnten. Im Gegensatz dazu fanden Robinson und Darley (1995)(5) heraus, dass die Intuitionen über Haftung und Strafe im Allgemeinen den Kategorien des Model Penal Code für Gesinnungen entsprachen.
Interkulturelle Studien: In einer kulturübergreifenden Studie unterschieden sich die Einschätzungen der Gesinnungen stark zwischen den Schadensvignetten (...); dennoch stimmten in drei von vier Szenarien die Schlussfolgerungen der Personen nicht
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mit den MPC-Kategorien überein (Levinson, 2005)(6).
Kulturelle Unterschiede: Interessanterweise schlossen die chinesischen Teilnehmer in dieser Studie systematisch auf eine größere Schuldfähigkeit als die amerikanischen Teilnehmer. Andere Forschungen legen nahe, dass kollektivistische Kulturen, einschließlich der chinesischen, bei der Erklärung von Verhalten situativen Faktoren mehr Gewicht beimessen als dispositionellen Faktoren (z. B. Morris und Peng, 1994)(7); diese Studien bewerten jedoch nicht speziell die Wahrnehmung von Schuld oder Verantwortung.
Rücksichtslosigkeit/Wissen: In jüngerer Zeit legt eine Reihe von Studien von Shen und Kollegen nahe, dass Menschen entsprechend den MPC-Kategorien "schuldlos", "fahrlässig" und "zielgerichtet" tadeln und bestrafen, aber dass sie schlecht darin sind, wissende und rücksichtslose Gesinnungen zu unterscheiden (Shen et al., 2011)(8). Sie weisen auf eine reale Konsequenz dieser Schwierigkeit hin: Die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Tötung im Gegensatz zu einer wissentlichen Tötung kann den Unterschied zwischen einer zweijährigen und einer achtundvierzigjährigen Strafe ausmachen.
Intentionalität: Einschätzungen der Intentionalität werden auch durch die Motivation beeinflusst (Mueller, Solan und Darley, 2012(9); Ditto, Pizarro und Tannenbaum, 2009(10)). Wenn zum Beispiel gesagt wird, dass eine schwerere Strafe davon abhängt, ob der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorsätzlich geschädigt hat, sind Scheinjuroren bereit, eine minimal schuldhafte Gesinnung (d.h. fahrlässig) oder eine minimale Risikowahrnehmung (3%) als vorsätzliche Schädigung wahrzunehmen (Mueller, Solan und Darley, 2012)(9). Als sie gebeten wurden, die Gesinnung des Arbeitgebers auf einer fünfstufigen Skala basierend auf den MPC-Kategorien zu kategorisieren, erkannten 88% dieser Teilnehmer fahrlässiges Verhalten und 96% rücksichtsloses Verhalten.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass selbst in Situationen, in denen Menschen in der Lage sind, mentale Zustände genau zu kategorisieren, diese nuancierten Unterscheidungen durch ihre Zuschreibungen von moralischer Schuld und den Wunsch, einen Übeltäter zu bestrafen, außer Kraft gesetzt werden können.

1. Simons, Kenneth W. (1992). "Rethinking Mental States." BUL Rev. 72:463.
2. Malle, Bertram F. and Jess Holbrook (2012). "Is There a Hierarchy of Social Inferences? The Likelihood and Speed of Inferring Intentionality, Mind, and Personality." Journal of Personality and Social Psychology 102(4):661.
3. Fiske, S. T., A. J. C. Cuddy, and P. Glick (2007). "Universal Dimensions of Social Cognition: Warmth and Competence." Trends in Cognitive Sciences 1 1 (2):77-83. doi:16/ j.tics.2006.11.005.
4. Severance, Laurence J., Jane Goodman, and Elizabeth F. Loftus (1992). "Inferring the Criminal Mind: Toward a Bridge Between Legal Doctrine and Psychological Understanding." Journal of Criminal Justice 20(2): 107-120.
5. Robinson, P. H. and J. M. Darley (1995). Justice, Liability, and Blame: Community Views and
the Criminal Law. Boulder, CO: Westview Press.
6. Levinson, Justin D. (2005). "Mentally Misguided: How State of Mind Inquiries Ignore Psychological Reality and Overlook Cultural Differences." Howard LJ 49: 1.
7. Morris, Michael W. and Kaiping Peng (1994). "Culture and Cause: American and Chinese Attributions for Social and Physical Events." Journal of Personality and Social Psychology 67(6):949
8. Shen, Francis X., Morris B. Hoffman, Owen D. Jones, Joshua D. Greene, and René Marois
(2011). "Sorting Guilty Minds." New York University Law Review 86: 1306-1360.
9. Mueller, Pam A., Lawrence M. Solan, and John M. Darley (2012). "When Does Knowledge
Become Intent? Perceiving the Minds of Wrongdoers." Journal of Empirical Legal studies 9(4):859-892.
10. Ditto, Peter H., David A. Pizarro, and David Tannenbaum (2009). "Motivated Moral Reasoning." Psychology of Learning and Motivation 50:307-338.


Nadler, Janice and Pam A. Mueller. „Social Psychology and the Law“. In: Parisi, Francesco (Hrsg.) (2017). The Oxford Handbook of Law and Economics. Bd. 1: Methodology and Concepts. NY: Oxford University Press


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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Sozialpsychologie

Parisi I
Francesco Parisi (Ed)
The Oxford Handbook of Law and Economics: Volume 1: Methodology and Concepts New York 2017

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